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Beitrag vom 11.06.2021
Courage - Dokumentarfilm über die Protestbewegung in Belarus. Ab 1. Juli 2021 im Kino
Helga Egetenmeier
Initiativen wie #Stand with Belarus und das Belarus Free Theatre kritisieren, trotz Bedrohungen und Repressalien, die Brutalität der belarussischen Diktatur. Ihr Mut verbindet sie mit den Menschen bei den friedlichen Protesten gegen Machthaber Lukaschenko. Aliaksei Paluyan porträtiert...
... in seinem Dokumentarfilm drei Schauspieler*innen der Theatercompany. Er zeigt an ihnen beispielhaft die Auseinandersetzung der Menschen in Belarus damit, das eigene Leben für die freiheitlich-demokratische Zukunft aller in Gefahr zu bringen.
Arbeit, Familie und Protest - mit Zivilcourage gegen die Diktatur
Vor über fünfzehn Jahren verließen Maryna, Pavel und Denis das Staatstheater Minsk, um im 2005 gegründeten Belarus Free Theatre (BFT) zu spielen. Für Regisseur Paluyan ist die Theatercompany, die im Geheimen arbeiten muss, der Hintergrund, vor dem er auf den Alltag der drei Schauspieler*innen blickt um ihr Leben vor und nach den Präsidentschaftswahlen im August 2020 zu dokumentieren. Dabei setzt er seinen Fokus auf die verschiedenen Wege, die sie gefunden haben, um gegen die Diktatur zu protestieren.
Der Regisseur, der mit seinen drei Protagonist*innen auch befreundet ist, erhält bei der Schauspielerin Maryna einen Einblick in ihr Leben als Mutter. Dadurch zeigt er sie nicht nur als engagierte Schauspielerin beim Theater und auf einer Demonstration von Frauen gegen Lukaschenko, sondern auch in ihrer kleinen Wohnung gemeinsam mit ihrem Baby und ihrem Partner. Als Eltern führen sie eine tiefgehende Diskussionen über ihre Lebensperspektive in Belarus. Im Verlauf ihres Gesprächs erfahren sie, dass auf den Demonstrationen gegen die Wahlfälschung zwei Menschen vom Militär ermordet wurden. Daraufhin fragen sie sich erschüttert, "Was wäre das Beste für das Kind?". Sie kommen zu dem Schluss, dass es besser ist, in einem freien Land aufzuwachsen und zu leben, auch wenn ein Elternteil im Gefängnis verschwindet oder getötet wird, als es zu unterlassen, für eine bessere Zukunft zu kämpfen.
Für sein Porträt des Schauspielers Pavel begleitet der Regisseur ihn zu den großen Protesten auf den Straßen der Hauptstadt Minsk. Er begleitet Pavel mitten hinein in die Menschenmenge, oder zeigt ihn beobachtend am Rand der Demonstration stehend. Ohne erklärende Kommentierungen aus dem Off lässt die Kamera die Szenen für sich sprechen. Der friedliche Protest wird durch den Aufmarsch des Militärs gestoppt und brutal mit dem Einsatz von Schlagstöcken und Wasserwerfern beendet. In einer anderen Szene wartet Pavel mit vielen Menschen auf die Freilassung Gefangener vor den Toren des Minsker Gefängnisses Okrestino, das berüchtigt ist für die Folter von Protestierenden.
Für sein drittes Porträt besucht der Regisseur den ehemaligen Schauspieler Denis an dessen Arbeitsplatz in einer Autowerkstatt. Er hat vor drei Jahren das BFT verlassen und erklärt selbstkritisch, dass er sich "völlig bewusst" sei, damit die Kunst verraten zu haben. Doch er bekomme nicht einmal beim Film mehr eine Rolle, da er auf einer Sperrliste steht. Trotz seines Rückzugs aus dem politischen Theater, kritisiert er offen die belarussische Politik und besucht seine ehemaligen Theaterkolleg*innen bei ihren geheimen Proben.
Belarus Free Theatre - politisches Theater im Untergrund
Auch wenn es sich nicht mehr alle Schauspieler*innen finanziell leisten können, oder es wagen, sich im BFT zu engagieren, zeigt der Film eine stabile Gruppe, die vor den Wahlen ein neues Theaterstück probt. Da die Theatercompany offiziell nicht existieren kann, proben und spielen sie an geheimen Orten. Wie diese zu erreichen sind, wird über soziale Netzwerke verbreitet. Regisseur Nikolai Khalezin ist dazu aus London per Skype zugeschaltet. Sie diskutieren, neben der Arbeit am neuen Stück, auch Sicherheitsmaßnahmen für den Fall, dass eine*r von ihnen auf einer Demonstration festgenommen wird.
Die Gründer*innen des BFT, Natalia Kaliada und Nikolai Khalezin, arbeiten seit 2011 aus ihrem Exil in London. Khalezin war zuvor Theaterschriftsteller, doch seine Stücke wurden auf den Bühnen von Belarus nicht erlaubt. Deshalb bauten die beiden ihr eigenes Theater ohne Gebäude auf, wurden aber trotzdem zur Zielscheibe der belarussischen Diktatur. 2007 wurde die gesamte BFT-Company, wie auch das Publikum, festgehalten. Company-Mitglieder verloren ihre Bühnenjobs und wurden zusammengeschlagen, so Kaliada in einem Interview mit der Zeitung "The Guardian".
Belarus eine Gesellschaft kämpft für ihre Freiheit
Der Film zeigt in ruhigen Bildern, aufgenommen vor und nach dem Wahlbetrug, dass die belarussische Gesellschaft dafür kämpft, ihre Zukunft als Demokratie aufzubauen. Die Menschen wehren sich weiterhin dagegen, dauerhaft in einer Diktatur leben zu müssen. Auch die Theatergruppe spielt weiter, und der Regisseur erklärt dem zahlreich erschienenen Publikum per Skype das aktuelle Stück: "Es ist ein Gespräch über das Gefängnis und über Frauen." Maryna spielt eine dieser Frauen, die von einem Staatsbeamten verhört wird, der sie damit verhöhnt, dass sie sieben Jahre im Gefängnis bleiben und während dieser Zeit in Vergessenheit geraten werde. Ein beklemmendes Spiel an einem geheimen Ort.
In einer anderen Aufnahme ist Maryna, glücklich lachend, auf einer Demonstration zu sehen. Sie freut sich über die vielen Menschen, die mit ihr gegen die Diktatur protestieren. Dass bewaffnete Polizisten der Spezialeinheit der Miliz Blumen von den Demonstrierenden annehmen, gibt vielen Hoffnung. Die Demonstrant*innen rufen "Dialog" und "Tritt ab". Sie hoffen, dass Lukaschenko verschwindet, doch Denis in seiner Autowerkstatt ist skeptisch, er geht davon aus, dass die Staatsmacht jetzt noch aggressiver auftreten wird.
Wie wir heute wissen, gehören auch nach dem Ende der Dreharbeiten zu diesem Dokumentarfilm die Proteste couragierter Menschen und die diktatorischen Gewalttaten der Staatsmacht zum Alltag in Belarus. Deshalb gilt weiterhin der Aufruf, den die Autorinnen von "Belarus! Das weibliche Gesicht der Revolution" formuliert haben: die Menschen im Westen müssen ihre Solidarität zeigen und den Demokratisierungsprozess in Belarus unterstützen.
AVIVA-Tipp: Mit "Courage" ist Regisseur Aliaksei Paluyan ein wichtiges und auch länderübergreifendes Zeitdokument gelungen. Er zeigt damit die Brutalität einer Diktatur, die gegen die Menschen vorgeht, die ihr Recht auf Demokratie einfordern. Dass die Menschen ihren Mut nicht verlieren, weiterhin für die Einhaltung der Menschenrechte zu kämpfen und dafür weltweit Solidarität einzufordern, dafür steht dieser intensive, gut komponierte Film.
Zum Regisseur: Aliaksei Paluyan, geboren 1989 in Baranovichi, Belarus, kam 2012 nach Deutschland und studierte an der Kunsthochschule Kassel Film- und Fernsehregie. 2017 veröffentlichte er den Kurzfilm "Country of Women", in dem er die älteren, weiblichen Bewohnerinnen des belarussischen Dorfs Lubeiki porträtiert. Mit seinem Kurzfilm "Lake of Happiness" (2019) über eine Neunjährige in einem kleinen belarussischen Dorf, der auf dem Kurzfilmfestival in Clermont-Ferrand uraufgeführt wurde, kam er auf die Longlist für die Oscars 2021. Sein Dokumentarfilmdebüt "Courage" hatte seine Weltpremiere auf der 71. Berlinale 2021.
Mehr Infos: www.paluyan.com
Courage
Deutschland 2021
Sprache: Belarussisch, Russisch, mit Deutschen Untertiteln
Regie: Aliaksei Paluyan
Protagonist*innen: Maryna Yakubovich, Pavel Haradnizky, Denis Tarasenka, u.a.
Verleih: Rise and Shine Cinema
Lauflänge: 90 Minuten
Kinostart: 01.07.2021
Mehr Infos: www.courage-film.com
Mehr zum Thema unter:
www.belarusfreetheatre.com/
Webseite der unabhängigen, preisgekrönten Theatercompany "Belarus Free Theatre"
www.youtube.com
Youtube-Kanal des Belarus Free Theatre, unter den Videos befindet sich ein Appell von Agnieszka Holland und Emma Thompson zur Unterstützung der Kampagne "I´m with the banned".
www.youtube.com/hashtag/standwithbelarus
Die Kampagne bittet unter "#StandWithBelarus" um Solidarität und Unterstützung durch die globale Künstler*innengemeinschaft.
www.facebook.com
Auf der Facebook-Seite "Pray for Belarus" werden regelmäßig aktuelle Informationen zu den Protesten und den Verfolgungen durch die Diktatur veröffentlicht.
Weiterlesen auf AVIVA-Berlin:
Belarus! Das weibliche Gesicht der Revolution
Mit Originaltexten und Gedichten von dreiundzwanzig Autorinnen (Wissenschaftlerinnen, Künstlerinnen, Journalistinnen und Schriftstellerinnen) gibt die "Flugschrift" der edition.foto_Tapeta einen Einblick in die Kämpfe um die Demokratie in Belarus aus der Sicht der Frauen. Ergänzt wird der Reader durch ausgewählte Internetbeiträge von der Plattform "Stimmen aus Belarus", und einer Chronik der Ereignisse zwischen dem 6. Mai und dem 26. Oktober 2020.